Einführung
Phenolharze – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Erfährt das erste synthetische Polymer eine Wiederbelebung?
Paul Ashford, Anthesis-Caleb
Berater der European Phenolic Resins Association (EPRA) in regulatorischen und Marketing-Angelegenheiten
Eine beneidenswerte Vergangenheit
Bereits vor über zehn Jahren feierte die Phenolharzgemeinde den hundertsten Jahrestag, an dem der belgische Staatsbürger Leo Hendrik Baekeland den gesellschaftlichen Wert erkannte, den mit Formaldehyd zu einem Phenolharz reagierendes Phenol darstellt. Im September 2007 fand anlässlich dieses Ereignisses ein von der Universität Gent organisiertes Symposium statt. An dieser Universität hatte Baekeland promoviert und mehrere Jahre gelehrt.
Bei dem teilweise von der European Phenolic Resins Association (EPRA) und der damals neu gegründeten Global Phenolic Resins Association (GPRA) finanzierten Anlass war die europäische Phenolharzindustrie stark vertreten.
Doch was wurde aus dem von Baekeland erfundenen Verfahren, nachdem er es anlässlich seiner Pensionierung 1938 an Union Carbide verkaufte? Im vorliegenden Artikel wollen wir dieser Frage nachgehen und beleuchten, wie die Zukunft der Phenolharze aussehen könnte.
Ein Tausendsassa…
Der „Erste am Start“ zu sein, bringt entscheidende Vorteile mit sich! Angesichts der Tatsache, dass schon seit vielen Jahren natürliche Harze (wie Schellack) zur Verfügung standen, gab es für das Produkt bereits gut erschlossene Märkte. Nicht einmal Baekeland selbst hätte jedoch die Bandbreite der Anwendungen vorhersehen können, für die seine Erfindung ‚Bakelit‘ genutzt werden sollte – insbesondere dann, wenn es als Formmasse verwendet wird.
„Tausenderlei Verwendungsmöglichkeiten“ war wahrscheinlich keine Übertreibung, da die Einführung des ‚Bakelit‘ mit einer rasant steigenden Nachfrage nach Elektroartikeln und auch eher herkömmlichen Gegenständen wie Kochgeschirr zusammenfiel.
Heutzutage erscheint es recht ironisch, dass ‚Bakelit‘ aufgrund seines großen Erfolges so sehr mit vergangenen Zeiten assoziiert wird, dass es in jüngerer Zeit zu einem Symbol der „Retrobewegung“ wurde. Weit davon entfernt, der Vergangenheit anzugehören, wurde jedoch das wahre Potential der Phenolharze gerade erst entdeckt.
...der Vieles meistert!
Als – zunächst in Gestalt anderer wärmehärtender Kunstharze (wie Epoxid), später jedoch auch in Form günstigerer, ölbasierter Thermoplaste – Konkurrenzmaterialien aufkamen, wurde deutlich, dass Phenolharze vorrangig für jene Anwendungen genutzt werden sollten, für die ihre spezifischen Eigenschaften sich am besten eigneten. Als solche Eigenschaften wurden die hohe Temperaturbeständigkeit und ihr Haftverhalten erkannt. Die folgende Liste möglicher Anwendungen entspricht daher dem heutigen Markt für Phenolharze:
Baugewerbe
- Sperrholzleime
- Bindemittel für Mineralwollisolierungen
- Isolierschaum
- Dekorlaminate
- Komponenten für moderne Klebstoffe
- Schleifstoffe
Transport
- Komponenten im Motorraum (Formmasse)
- Reibmaterialien für Bremsen und Kupplungen
- Faserverbundwerkstoffe
- Gießerei und feuerfeste Harze
- Kautschukverstärkende Harze
Haushaltsgeräte und andere Artikel
- Küchengeräte (Formmasse)
- Dosenbeschichtungen
- Druckfarbenrezepturen
- Elektrolaminate
Basierend auf diesen Kernaufgaben, kamen in den Jahrzehnten nach dem Verkauf von Baekelands Geschäft an Union Carbide kontinuierlich weitere Anwendungsmöglichkeiten von Phenolharzen hinzu. Der jeweilige Bedarf ist regional unterschiedlich – das wahrscheinlich beste Beispiel dafür ist die Vorherrschaft von Sperrholzleimanwendungen in Nordamerika, wo noch immer vorrangig Holzgebäude errichtet werden, für die zuverlässige, wasserfeste Bindemittel benötigt werden.
Laut mehreren Marktforschungsquellen erreichte der globale Markt für Phenolharze im Jahr 2015 nahezu 5 Millionen Tonnen mit einem Wert von mehr als 10 Milliarden US-Dollar. Folgende Verwendungsmuster wurden angenommen:
Zudem sagen die meisten Markteinschätzungen für den Zeitraum bis 2021 eine kumulierte jährliche Wachstumsrate von über 5 % voraus, was nahelegt, dass die Rahmenbedingungen des Kernmarktes in der Branche unverändert bleiben.
Üblicherweise stellt der Handel zwischen den Regionen weniger als 10 % der Gesamtnachfrage dar. Dies spiegelt die Tatsache wider, dass es normalerweise nicht für rentabel erachtet wird, Harze (insbesondere Flüssigharze) über lange Strecken zu transportieren. Aus diesem Grund entspricht die regionale Produktion in den meisten Fällen nahezu der jeweiligen Nachfrage. Dort, wo Spitzentechnologie weltweit benötigt wird (etwa im Bereich Reibmaterialien oder kautschukverstärkende Harze), werden entsprechende Überlassungen üblicherweise über Lizenzvereinbarungen ermöglicht. In jüngerer Vergangenheit haben sich jedoch eine Reihe tatsächlich weltweit tätiger Hersteller herausgebildet, die derartige Technologien intern übertragen können.
Auf regionaler Ebene stützen die Daten der EPRA die von Marktforschern beobachteten globalen Entwicklungen. Der Verband erfasst (mit Ausnahme der Gießereiharze) über 90 % des freien europäischen Marktes. Basierend auf den gewonnenen detaillierten Statistiken, vermeldet die EPRA für 2017 einen Markt von über 800.000 Tonnen/Jahr. Besonders starkes Wachstum verzeichnet der Bausektor mit plus 7 % mehr Mineralwollebindemitteln, plus 8,2 % mehr Holzbindemitteln und sogar 13,3 % mehr Isolierschaumharzen, wenn auch von einer niedrigeren Basis aus.
Brandeigenschaften als zusätzlicher Treiber
Kommt man auf die Umstände zurück, die im Wesentlichen zum vermehrten Einsatz von Phenolharzen führten, so zeigten sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einige der Defizite der kostengünstigeren Thermoplaste – insbesondere in Bezug auf Brand und Rauch. Eine Serie in der Öffentlichkeit stark wahrgenommener Brände in Europa und anderswo machte deutlich, dass Werkstoffe benötigt wurden, die alle Vorzüge polymerer Materialien, nicht aber die Nachteile der etablierten Stoffe aufwiesen.
Angesichts dieses Bedarfes an besseren und leistungsfähigeren Werkstoffen brachte die Phenolharzindustrie eine Reihe von Produkten auf den Markt, welche auf dem exzellenten Brandverhalten basierten, das die phenolische Grundsubstanz aufweist (geringes Brandausbreitungsvermögen und äußerst geringe Rauchentwicklung). Phenolharzschaum und faserverstärkte Phenolverbundstoffe sind wahrscheinlich die am besten bekannten Vertreter dieser Produkte.
Phenolharzschaum erfreut sich in jenen Teilen Europas besonderer Beliebtheit, in denen das Brandverhalten von Kernmaterialien und freiliegenden Elementen an erster Stelle steht. Dies deckt sich mit der noch stärkeren Zunahme der Verwendung von Phenolharzschaum in Japan, wo Bevölkerungsdichte und Bauweisen phenolische Dämmstoffe zum Mittel der Wahl machen.
Ist die erwartete Wiederbelebung eingetreten?
Vor zehn Jahren spekulierte der Autor in einem dem vorliegenden ähnlichen Artikel, dass die Nutzung der Phenolchemie bald eine Wiederbelebung erfahren könnte. Sicherlich zeigen die vergangenen Jahre, dass sich die Wettbewerbsstellung der Phenolharze trotz der Finanzkrise von 2008-09 und der wachsenden Konkurrenz in einer Reihe von Bereichen (siehe dazu auch den nächsten Abschnitt) stark verbessert hat. Daher scheint der Rückschluss, dass diese Wiederbelebung tatsächlich stattgefunden hat, begründet zu sein.
Mit den unzähligen Konkurrenzmaterialien, die sich inzwischen auf dem Markt finden, gibt es für gewöhnlich mindestens eine andere Option für die meisten Anwendungen. Da sich jedoch der globale Phenolharzmarkt in der Mitte des 20. Jahrhunderts derart tiefgreifend weiterentwickelt hat, ist die derzeitige Bandbreite an Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten noch immer bemerkenswert stabil und erfährt nur dann bedeutende Auswirkungen, wenn die Anwendung selbst gefährdet ist. Teilweise liegt dies in der ständigen Weiterentwicklung und Verbesserung der Technologie begründet.
Technische Differenzierung in einer vom Wettbewerb geprägten Welt
Da in den vergangenen zehn Jahren Chemikalienverordnungen (z.B. REACH) weltweit tatsächlich umgesetzt und vollzogen wurden, haben die Mitglieder der EPRA beträchtliche Investitionen getätigt, um durch vermehrtes Verständnis der Einsatzbereiche nachgeschalteter Anwender und der damit einhergehenden Expositionsszenarien diese Verordnungen erfüllen zu können. Besonders relevant wurde dies nach der Neuklassifizierung von Formaldehyd und führte zur Einführung von besonders emissionsarmen Harzen, die in einer Reihe von Bereichen gut aufgenommen wurden.
Noch wichtiger ist vielleicht, dass die Notwendigkeit zur Begrenzung der Formaldehydemissionen zusätzlich das Augenmerk darauf lenkte, dass die Verbindung von Phenol und Formaldehyd besonders stabil ist und nicht hydrolisiert. So ist während der gesamten Lebensspanne der ausgehärteten Produkte für minimalste Formaldehydemissionen gesorgt. Da die Anforderungen an die Raumluft beständig höher werden, ist dies im Baubereich ein zunehmend wichtiger Faktor.
Zusammenfassung
Nach über einem Jahrhundert des Gebrauchs, haben sich Phenolharze als einzigartig erwiesen – kein anderes Polymer kann das bisher von sich behaupten! Baekeland wäre stolz auf diese Tatsache, doch ich bezweifle, dass er sich auf seinen Lorbeeren ausgeruht hätte. Er wäre damit beschäftigt, den nächsten bahnbrechenden Verwendungszweck für seine Erfindung zu suchen!
Zudem wäre Baekeland glücklich zu sehen, dass sein Werkstoff eine Art Wiedergeburt erfahren hat, bei der die wesentlichen Eigenschaften der Chemie Phenolharze so von anderen Materialien differenzieren, dass diese auch weiterhin einzigartige Vorteile für die Gesellschaft liefern.
Die EPRA-Mitglieder müssen dafür Sorge tragen, dass diese Wiederbelebung anhält und tätigen daher beträchtliche Investitionen, um jene Zusicherungen und Zusagen bieten zu können, die eine immer anspruchsvollere Kundschaft fordert. Dazu gehört der Nachweis, dass die inerten Eigenschaften der voll ausgehärteten Grundsubstanz, die wir seit über 100 Jahren als Bakelit kennen, ordnungsgemäß beschrieben werden.
Paul Ashford – März 2018